Sonntag, Oktober 23, 2016

Joseph Frank Keaton and the NYSPCC



In diesem Beitrag werfen wir mal einen Blick auf eine ganz besondere Attraktion in der New Yorker Theaterszene am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert. Im Mittelpunkt steht dabei Joseph Frank Keaton, der älteste Spross in der Familie von Joseph (Joe) Hallie Keaton und Myra Keaton, geb. Cutler. 



Joseph Frank Keaton wurde am 04.10.1895, also vor 121 Jahren, in der Stadt Piqua in Kansas geboren, einem Ort irgendwo im Nirgendwo in der Mitte der Vereinigten Staaten.



Joe und Myra Keaton waren Theaterleute, aber keine ernsthaften Schauspieler, die klassische Theaterstücke auf die Bühne brachten, sondern im Bereich des Vaudevilles tätig, also als Akteure in Unterhaltungsshows. Ein guter Freund der Familie Keaton war der berühmte Bühnenzauberer Harry Houdini. 




Seine Eltern waren zum Zeitpunkt seiner Geburt mit der Mohawk Indian Medicine Show unterwegs waren, einer Unterhaltungsshow, die zugleich auch Wunderheilungselemente beinhaltete. 

Im ausgehenden 20. Jahrhundert gab es davon zahlreiche gleichartige Shows, die über das Land zogen und auf primitiven Bühnen das Publikum unterhielten:




Der medizinische Teil, also der Wunderheilungsteil der Show, bezog sich dabei wohl auf die "Künste" von Medizinmännern, die wiederum aus den Reihen der an der Show beteiligten amerikanischen Ureinwohner kamen.

Ab 1899 versuchten Joe und Myra Keaton in der Vaudeville-Szene von New York City als "The Two Keatons", Fuß zu fassen, jedoch zunächst nur mit geringem Erfolg. Dieses sollte sich ab Oktober 1900 ändern, als die beiden ihren fünfjährigen Sohn in ihre Bühnenshow mit aufnahmen und sich dabei ein besonderes Talent zu eigen machten, über das er verfügte. 



Joseph war nämlich in der Lage, Stürze unbeschadet zu überstehen und sich auch nicht darüber zu beklagen, wenn es mal schmerzhaft gewesen war. Die Bühnenshow wurde um einen Abschnitt erweitert, in dem auf harsche Weise die Erziehung des Sohnes durch den Vater vorgeführt wurde. Die bestand dann vor allem darin, das Joseph auf unterschiedliche Weisen in die Kulissen geschleudert wurde. Denn Joseph war "The Little Boy who can't be damaged".




Der große Publikumserfolg führte dazu, dass er fester Bestandteil der Show und aus den "Two Keatons" ab 1901 "The Three Keatons" wurden. Vater und Sohn erhielten dabei für ihren Slapstick Bühnenkostüme, die sie auf bizarre Weise ähnlich aussehen ließen. 








Inhaltlich drehten sich die Auftritte weiterhin um die Erziehung des "unverletzlichen bzw. unzerstörbaren" Sohns. Das sah dann auf der Bühne wohl so aus, dass Joseph durch seinen Vater auf vielfältige Weise bestraft wurde, begleitet jeweils durch einen vorausgehenden Monolog des Vaters. Man stelle sich einen Tom und Jerry-Film vor, bei dem die Katze vorher ankündigt, was sie als nächstes mit der Maus anzustellen gedenkt. Nur dass die Gewalt in diesem Fall nicht gezeichnet war, sondern ein Sechsjähriger von seinen Eltern unter tosendem Applaus und Gelächter des Publikums auf einer Theaterbühne misshandelt wurde. 



Joe Keaton war auf der Bühne ein Betrunkener, der sowohl körperlich als auch verbal Gewalt gegen sein Kind ausübte. Wobei die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit mit der Zeit zunehmend fließend wurden, denn Joe Keaton war tatsächlich alkoholabhängig. Die Mutter nahm als stumpfsinnige und fügsame Komplizin an dem Schauspiel und den Züchtigungen teil. Und Joseph ertrug das ganze Spektakel, ohne eine Miene zu verziehen. Er berichtete später, dass er feststellte, dass das Gelächter im Publikum um so größer war, je unbewegter sein Mienenspiel während der Misshandlungen blieb. 



Zwischen den Schulterblättern hatte man an Josephs Kostüm einen Koffergriff angebracht. An dem hob der Vater ihn hoch, schüttelte ihn, schleuderte ihn um sich herum, ließ ihn mit dem Gesicht nach unten auf den Boden fallen und schleuderte ihn immer wieder gegen Möbel und Wände. 

Wenn Joe genug davon hatte, spannte er seinen Sohn in eine Art Gestell an einem Besenstiel ein, tauchte ihn dann in Wasser und reinigte mit ihm, so als eine Art menschlicher Mob, den Bühnenboden. 

Und zum Abschluss der Show, quasi als Höhepunkt, wurde Josephs Körper schließlich noch von der Bühne hinunter in dem Publikumsraum geworfen, zwischen die Menschen, die dafür bezahlt hatten, zuzuschauen, wie er öffentlich misshandelt wurde. 






Diese rüde Show war zwar ein Publikumserfolg in New York und auch außerhalb der Metropole auf Tourneen durch das Land, traf aber auch schon damals nicht nur auf Begeisterung. Und Joseph war inzwischen auch nicht mehr das einzige Kind in der Familie Keaton, es waren 1904 noch einen Bruder namens Harry dazugekommen und 1906 eine Schwester namens Louise

Und Vater Joe Keaton hatte bereits Pläne, auch die beiden jüngeren Kinder zu einem Teil der wüsten Bühnenshow zu machen. Das nachfolgende Photo zeigt die Eltern und die beiden Söhne im Einheitslook. 



Allerdings gab es da auch noch die NYSPCC, die New York Society for the Prevention of Cruelty to Children, also eine Gesellschaft, die ihre Aufgabe in der Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder sah. Und bei der schrillten angesichts der Vaudeville-Show der Three Keatons alle Alarmglocken. 

Die NYSPCC zeigte Joe und Myra Keaton wegen Misshandlung und Ausbeutung von Kindern an. Die wiederum verteidigten sich, indem sie behaupteten, Joseph wäre ein kleinwüchsiger Erwachsener, der tatsächlich einige Jahre älter wäre als er aussähe.



Die Instanz, die darüber zu entscheiden hatte, ließ sich davon aber letztendlich nicht überzeugen. Die Three Keatons erhielten schließlich im Staat New York ein Auftrittsverbot, das sich über die Jahre 1907 bis 1909 erstreckte. Joseph war ca. sechs bis sieben Jahre lang Mittelpunkt dieser Show gewesen, bis das Verbot griff, seinen Geschwistern blieb aber eine Rolle in der gewalttätigen Bühnenshow erspart. 

Er äußerte sich später dahingehend, dass er von seinem Vater während der Bühnenshow niemals ernsthaft verletzt worden sei. Der Trick sei gewesen, zu lernen, wie man Stürze so abfängt, dass man dabei keinen Schaden nimmt, ähnlich wie eine Katze. Es habe andere Künstler gegeben, die angesichts des Erfolgs der Three Keatons versucht hätten, das Konzept zu imitieren, die aber nicht den Kern des Ganzen verstanden hätten, weshalb die Nachahmer meist schnell wieder aufgegeben hätten. 



Im Zusammenhang mit dem Auftrittsverbot verschlimmerte sich die Alkoholkrankheit von Joe Keaton. Der Versuch, nach England auszuweichen und dort eine Tour durch die Music Halls zu unternehmen, verlief desaströs. Joseph Keaton, der bis dahin nie eine Schule besucht hatte und erst jetzt sehr spät Lesen und Schreiben von seiner Mutter erlernte, konnte nach seiner Rückkehr in die Staaten jedoch Fuß im Vaudevilletheater fassen. 


Mit 21 Jahren löste sich Joseph Keaton von seinen Eltern und begann, selbstständig als Darsteller vor allem in der noch jungen Kunstform Film zu arbeiten, die sein Vater als ernsthafte Konkurrenz des Vaudevilles strikt abgelehnt hatte. Dort wurde er unter seinem Spitznamen "Buster" Keaton rasch einer der erfolgreichsten amerikanischen Schauspieler während der Stummfilm-Ära.

Die Erfahrungen, die er bei der wüsten Bühnenshow mit seinen Eltern gesammelt hatte, konnte er gewinnbringend einsetzen, und in seinen Filmen zahlreiche nicht gerade ungefährliche Stunts vorführen. 




Zur Bewertung des Verhältnisses zwischen Joseph Keaton und seinem Vater ist es interessant zu wissen, das Joe Keaton in ungefähr 16 Filmen von Buster Keaton auftrat, darunter zahlreiche Kurz-, aber auch einige Langfilme. 

Joe Keaton, geboren 1863, starb 1946 im Alter von 78 Jahren, nachdem er von einem Auto angefahren worden war.

Joseph Keaton alias Buster, geboren 1895, starb 1966 im Alter von 70 Jahren an Lungenkrebs.



Wikis und Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Buster_Keaton


Bonustrack

Einen Nachschlag habe ich noch. 1935 entstand der 20minütige Kurzfilm "Palooka From Paduca", in dem vier der fünf Keatons vor die Kamera traten.



Neben Buster Keaton (rechts) spielten auch sein Vater Joe Keaton (links), seine Mutter Myra Keaton (links neben Buster) und seine Schwester Louise Keaton (Mitte links) in dem Film mit. Lediglich Bruder Harry "Jingles" Keaton, der ebenfalls als Schauspieler tätig war, taucht hier nicht auf.




In dem 1937 entstandenen "Love Nest on Wheels" war Bruder Harry Keaton dann auch mit von der Partie:







Und damit endet der Rückblick auf eine ungewöhnliche Familie und eine ebenso ungewöhnliche Bühnenshow zu Beginn des 20. Jahrhunderts in New York City.





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